Zwei Schriften für zwei Sprachen

Bei der Lektüre der Quellenmaterialien, die in dieser Publikation behandelt werden, fällt sofort etwas auf: Deutschsprachiger Text wird in der Frühen Neuzeit in einer ganz anderen Schrift geschrieben und gedruckt. Wir verwenden heute die lateinische Schrift für unsere handgeschriebenen und gedruckten Texte – in der Frühen Neuzeit hat man dafür so genannte gebrochene, auch „gotisch“ genannte Schriften verwendet. Doch damit nicht genug: Es gibt in vielen frühneuzeitlichen Texten sogar beide Schriftsysteme parallel nebeneinander. Das soll hier näher erläutert werden.

Deutschsprachiger gedruckter Text wurde – zum Beispiel in allen gedruckten Büchern und Zeitungen des 18. und 19. Jahrhunderts (bis weit in das 20. Jahrhundert hinein) in Frakturschrift gesetzt – den „gebrochenen“ Charakter dieser Schrift kann man den sehr spitzen Winkeln der Buchstaben gut erkennen. Wann immer deutsche Wörter gedruckt wurden, geschah das in Fraktur – also eben auch bei gedruckten Erlassen wie den Kölner Edikten.

Frakturalphabet (Link)

Beim Lesen muss man auf einige Eigenheiten achten: Es gibt zwei verschiedene kleine „s“ – ein rundes, das optisch unserem heutigen kleinen „s“ nahekommt und ein langes „s“ (ſ), das man leicht mit einem „f“ verwechseln kann (dem langen „s“ fehlt aber der Querbalken). Welches „s“ verwendet wird, hängt davon ab, an welcher Stelle in einer Silbe der Buchstabe vorkommt. Im Vergleich zu den heute verwendeten Druckschriften können vor allem das kleine „k“ sowie die seltenen „x“ und „y“ schwierig sein. Eine Herausforderung stellen auch manche Großbuchstaben dar – gerade im Vergleich untereinander: Man beachte z. B. „A“ vs. „U“, „B“ vs. „V“, „C“ vs. „E“ und „F“ sowie „N“ vs. „R“. Wer aber über einen längeren Zeitraum versucht, Texte in Fraktur zu lesen, wird schnell feststellen, dass die Lektüre sehr flüssig funktioniert.

Daneben existiert in der Frühen Neuzeit eine Reihe von Schreibschriften für handgeschriebene Texte. Für unseren Zeitraum ist die „Standardschrift“ deutschsprachiger Texte die sogenannte Deutsche Kurrentschrift, eine flüssige (Kurrent von lat. currens: „laufend“) Schreibschrift, aus der im Jahr 1917 die Sütterlinschrift als Vereinfachung entwickelt wurde. Damit das Lesen von Kurrent genauso flüssig funktioniert wie es für den Schreibprozess gedacht war, muss man etwas üben. Die Kölner Bürgerrechtsgesuche bieten eine wunderbare Gelegenheit – gerade im Abgleich mit den Arbeitstranskriptionen.

Kurrentalphabet (Link)

In der Kurrentschrift fallen neben der konsequenten Neigung nach rechts schnell die vielen Schleifen und Bögen auf. Auf ein paar Buchstaben muss man besonders achten, um richtig zu lesen. Eine ganze Reihe von Kleinbuchstaben z. B. sind sich sehr ähnlich: „c“, „e“, „n“ „r“ und „u“ (wobei letztes vom „n“ durch den zusätzlichen Bogen über dem Buchstaben unterschieden werden kann. Schwierigkeiten können auch „m“, „n“ und „w“ bereiten, genauso wie „v“ und „V“. Das kleine „h“ sieht für heutige Augen auf den ersten Blick sehr gewöhnungsbedürftig aus.

Für Kurrent und Fraktur ist außerdem charakteristisch, dass bestimmte Buchstabenkombinationen wie „st“ oder „sch“ nicht einfach als mehrere Einzelbuchstaben, sondern in einer speziellen Verbindung zusammengezogen werden, einer sogenannten „Ligatur“ – sie bilden also fast eigene Buchstaben. Ein Beispiel kennen wir in unserer Schrift immer noch: das „scharfe s“: ß, eine Ligatur aus (langem) „s“ und „z“ (ſz), in seiner Gestaltung manchmal auch aus einer Ligatur von langsam und rundem „s“ abgeleitet (ſs).

Hier sind alle in Antiqua gesetzten Bestandteile hervorgehoben (Fremdwörter lateinischen Ursprungs)

Besonders interessant in den Texten der Frühen Neuzeit – sowohl gedruckt als auch handgeschrieben – ist die Zweischriftigkeit. Fraktur und Kurrent wird in den Texten fast ausschließlich für deutschsprachige Passagen verwendet. Textteile oder einzelne Worte, die entweder in romanischen Fremdsprachen (wie z. B. Französisch) verfasst sind, aber auch Fremdwortbestandteile, die auf das Lateinische direkt zurückgehen, wurden seit dem 16. Jahrhundert in Antiqua verfasst – und damit in der auch heute in Deutschland einheitlich verwendeten Druck- und Schreibsprache. Es gibt in frühneuzeitlichen Texten also immer wieder Passagen, die auch ohne Übung flüssig gelesen werden können. Beide Schriftsysteme existierten im deutschsprachigen Raum parallel – wobei ein klarer Schwerpunkt auf den gebrochenen Schriften Fraktur und Kurrent lag.

Ein besonderer Fall

In den zwei Jahrhunderten von 1750 bis 1950 wurden die traditionsreichen gebrochenen Schriften schließlich ganz durch Antiqua abgelöst. Schon Ende des 19. Jahrhunderts hatte es Diskussionen und einen regelrechten „Antiqua-Fraktur-Streit“ darüber gegeben, in welcher Schrift deutsche Texte zu verfassen sind. Zwar gab es auch im 20. Jahrhundert viele Stimmen, die die gebrochenen Schriften als „deutsche Schriften“ bevorzugten, dennoch etablierte sich Antiqua immer mehr. Für den Alltag war schließlich besonders der sogenannte „Normalschrifterlass“ einschneidend, der am 3. Januar 1941 in der nationalsozialistischen Herrschaft verfügt wurde: Ab sofort wurden die gebrochenen Schriften (antisemitisch verbrämt) abgeschafft und die deutschsprachige Schrift vollständig auf Antiqua, die neue „Normalschrift“ umgestellt. Im Erlass verfügte Martin Bormann, „dass die Antiqua-Schrift künftig als Normal-Schrift zu bezeichnen sei. Nach und nach sollen sämtliche Druckerzeugnisse auf diese Normal-Schrift umgestellt werden. Sobald dies schulbuchmässig möglich ist, wird in den Dorfschulen und Volksschulen nur mehr die Normal-Schrift gelehrt werden.“

Beispiele, in denen Umlaute mit einem kleinen "e" dargestellt werden.

Von der Kurrentschrift ist heute nur noch eine kleine Spur vorhanden: Die Umlautpunkte auf „ä“, „ö“ und „ü“ sind daraus entstanden, dass früher ein kleines „e“ über die Buchstaben „a“, „o“ und „u“ geschrieben bzw. gedruckt wurde, um „ae“, „oe“ oder „ue“ auszudrücken. Das kleine „e“ besteht in Kurrent vor allem aus zwei kleinen Strichen, die irgendwann allein übrig blieben und sich dann noch weiter zu Punkten reduziert haben.

Historiker*innen müssen für die Lektüre frühneuzeitlicher Quellen auf beide Schriftsysteme – die gebrochenen Schriften Fraktur und Kurrent sowie die „runden“ Antiquaschriften vorbereitet sein, auch wenn die Relevanz von Kurrent (bzw. Sütterlin) und Fraktur im heutigen Alltag kaum noch vorhanden ist – zum Glück gibt es viel überliefertes Material zum Üben.

 

Lektürehinweise:

Emich, Birgit, Geschichte der Frühen Neuzeit (1500–1800) studieren, 2. Auflage, München 2019, S. 152–154.

Brandt, Ahasver von, Werkzeug des Historikers, 17. Auflage, Stuttgart 2007, S. 70–79.

Gutzwiller, Hellmut, Die Entwicklung der Schrift in der Neuzeit, in: Archiv für Diplomatik, Schriftgeschichte, Siegel- und Wappenkunde 38 (1992), S. 381–488.

Killius, Christina, Die Antiqua-Fraktur-Debatte um 1800 und ihre historische Herleitung, Wiesbaden 1999 (= Mainzer Studien zur Buchwissenschaft, Bd. 7).

Hartmann, Silvia, Fraktur oder Antiqua. Der Schriftstreit von 1881 bis 1941, 2. Auflage, Frankfurt am Main 1999 (= Theorie und Vermittlung der Sprache, Bd. 28).