Eine Schatzsuche der anderen Art
– oder: Wie man zum Schatzsucher wird
Wer wir sind
Wir sind die Citizen-Science-Gruppe KölnErforschen, eingeschrieben im Gasthörer*innen-Studium an der Uni Köln. Nach unserem Start 2022 sind heute noch sechs dabei: Angelika, Bernd, Dorothee, Gisela, Matthias und Ursula. Wir hatten zwar in den letzten zwei Jahren ein paar Stippvisiten von Interessierten, die uns dann doch wieder verlassen haben – weil das, was wir tun, eine recht arbeitsaufwändige Sache ist.
Wie kommt man nun zu der Idee, sich mit Bürgerrechts- und Niederlassungsgesuchen der Französischen Zeit in Köln (1794-1814) zu befassen? Angeregt durch eine Veranstaltung über verschiedene Stadtkonzeptionen für Köln wollten wir mit einem Thema über die Geschichte der Rheinmetropole weitermachen. Ein Besuch des wissenschaftlichen Teams der Kölner Frühen Neuzeit (Prof. Dr. Gudrun Gersmann) gab dann den entscheidenden Impuls. Es gibt noch viel Unerforschtes im Historischen Archiv der Stadt Köln u.a. zur französischen Zeit, daraus ließe sich doch ein Citizen-Science-Projekt im Gasthörerstudium machen. Außerdem wäre ein solches Projekt anschlussfähig an aktuelle Forschungen zur Stadtgeschichte um 1800. So ein Projekt schien reizvoll.
Einblicke in die Projektarbeit
Um was ging es konkret? In den Archivbeständen gibt es einen abgeschlossenen „Vorgang“ aus der Zeit der französischen Besetzung und Verwaltung in Köln 1794-1814: Bürgerrechts- oder Niederlassungsgesuche. Die waren – wie andere Quellen auch – zwar vor vielen Jahren mal digitalisiert worden, aber bis auf eine uns bekannte Ausnahme – Astrid Künzel – schien da nie jemand richtig reingeguckt zu haben. Tatsächlich wartete hier gleich die größte Hürde auf uns: die meisten von uns konnten die Handschriften nicht lesen. Also lautete die erste Herausforderung: wie bekommen wir diese Dokumente überhaupt in den Griff? Wie werden sie lesbar und übersetzbar?
Wir haben uns die Archivkartons mit den Dokumenten untereinander aufgeteilt. Allerdings waren nur die Kopien von Mikrofilmen digitalisiert und als Arbeitsvorlage schlecht zu gebrauchen, vor allem wegen der meist unscharfen Wiedergabequalität. Dankenswerterweise hat uns hier Dr. Max Plassmann vom Stadtarchiv schnell geholfen und die Gesuche in ausgezeichneter Qualität – sogar in Farbe – digitalisieren lassen.
Und dann saßen wir – jeder für sich – zu Hause, im Archiv oder in der Unibibliothek und fingen an zu transkribieren. Erste Worte wurden entziffert, dann ganze Sätze, im Idealfall sogar ein ganzes Dokument, was aber selten vorkam. In der Regel bekamen wir zwar einen Teil selbst hin, aber es gab Wörter, Passagen und Sätze, zu denen fiel uns im stillen Kämmerlein absolut nichts ein. Und diese “ Hieroglyphen“ brachten wir mittwochs zu unseren Treffen mit Dr. Wolfgang Rosen mit, der unser Vorhaben von Anfang an wissenschaftlich mit betreut hat. Er warf die Digitalisate an die (Lein-)wand, und wir rätselten unter fachkundiger Anleitung gemeinsam. Das klappte hervorragend, denn jeder konnte Ideen einbringen – ein Gruppen-Brainstorming par excellence. So kamen wir ordentlich weiter und haben unsere Motivation nicht verloren. Wir fingen an, Strukturen zu erkennen, ebenso wie Verwaltungsabläufe. Bestimmte Floskeln oder Namen wie „Dolleschall“ oder „Citoyen Maire Wittgenstein“ tauchten häufig auf, wurden zu vertrauten Wegbegleitern. Wir konnten Zusammenhänge herstellen und mit der Zeit bekamen wir auch Übung im Transkribieren.
Eine weitere Hürde war die französische Sprache. Nicht alle von uns waren darin meisterhaft, so dass wir ab und zu externe Hilfe anforderten – eine Französin in der Bretagne war bei ganz komplizierten Texten und lexikalisch nicht erfassten Begriffen die letzte Rettung.
Einer unserer Mitstreiter war Systematiker und Statistiker, der wichtige Kompetenzen für das Management unserer erhobenen Daten einbringen konnte. Wir verwenden standardisierte Dateinamen und werten die jeweiligen Texte in einer Übersicht inhaltlich aus. Er verwaltete und strukturierte unser komplettes Material, entwarf das Modell für die Datenerfassung in einer zentralen Excel-Übersicht und stieg außerdem tief in die geschichtlichen Zusammenhänge ein.
Interessant zu erkennen war, wie sich „große Geschichte“ in manchen Gesuchen spiegelt und wie sie in die Gegenwart wirkt: die Irrfahrten der wohltätigen Witwe Harskamp nach dem Beginn der französischen Besatzung sind beispielsweise sehr spannend zu lesen. An sie wird heute noch in Aachen und Namur erinnert. Auch Juden versuchten in Köln Fuß zu fassen: Anlass für eine unserer Mitstreiterinnen, sich mit dem Thema Juden in Köln vertiefend zu verfassen und bei verschiedenen Anlässen darüber zu referieren.
Die territoriale Entwicklung der Zeit und die Hintergründe des Reichsdeputationshauptschlusses von 1803 lässt sich beispielsweise am Schicksal zweier klerikaler Brüder nachzeichnen – Umstände, die bis heute dafür sorgen, dass wir das Salär des Kölner Kardinals aus Steuern finanzieren. Die Familiengeschichte der protestantischen Herstatts ist ein spannendes Forschungsprojekt: Geld regiert die Welt, das war auch in Köln so. Das katholische Köln schloss zwar die meisten Protestanten aus, aber wenn sie Geld mitbrachten, konnte man dann Ende des 18. Jahrhunderts durchaus großzügig sein. Und dass die Pleite dieser Familienbank – der Herstatt-Bank – 1974 Anlass war, einen Einlagensicherungsfonds in Deutschland einzurichten, daran erinnert sich heute kaum noch jemand. Andere Texte wiederum waren rein verwaltungsmäßig geschrieben und boten wenig Einblick in historische Kontexte.
Was war unser ‚Benefit‘?
Es ist uns gelungen, ein tieferes Verständnis für 20 Jahre der französischen Fremdherrschaft in Köln zu bekommen. Dabei haben wir erkannt, dass die französische Zeit in Köln gar nicht so glorreich war, wie wir anfangs angenommen hatten! Allem voran bedeutete die Besatzung und die Einquartierung der französischen Soldaten eine große finanzielle Belastung für die Bürgerinnen und Bürger. Das wiederum führte uns zur Frage, wie sich die wirtschaftlichen Verhältnisse zu dieser Zeit überhaupt verändert haben. Wir sind auch davon ausgegangen, dass sich die Rechte von Frauen und Juden mit der neuen französischen Rechtsprechung signifikant verbessern müssten, was sich leider nicht bestätigt hat. Diese Aspekte passen so gar nicht in das Bild des revolutionär-fortschrittlichen Frankreichs.
Außerdem begeisterte uns manch eine Kuriosität: So entdeckten wir einen „Mausefallenhersteller“ als Beruf eines Petenten, eine offizielle Schmuggler-Versicherung während der Kontinentalsperre und die Tatsache, dass die Düsseldorfer trickreich die Zollgrenze auf dem rechten Rheinufer unterliefen.
Schön ist, dass wir die Möglichkeit hatten, unsere Erkenntnisse in verschiedenen Vorträgen vorzustellen. Das wissenschaftliche Team der Kölner Frühen Neuzeit hat uns konzeptionell, redaktionell und medial unterstützt, um unsere Ergebnisse in diese Publikationsform zu bringen. Damit kann unsere Arbeit dazu beitragen, künftige Studien rund um diesen Archivbestand zu vereinfachen.
Wenn wir heute zurückschauen, können wir stolz darauf sein,
- uns trotz gelegentlich intensiver Diskussionen immer wieder zusammengerauft zu haben. Wir alle sind selbstbewusst, haben nach abgeschlossenem Studium berufliche Erfolge aufzuweisen, und es hat Spaß gemacht, gemeinsam die Herausforderungen zu bewältigen.
- unser Hirntraining mit Bravour bewältigt zu haben: über 50% der Texte sind transkribiert, und damit haben wir unsere Messlatte, die wir anfangs gesetzt hatten, übertroffen.
- Archivrecherche und Transkribieren gelernt zu haben; auch das Arbeiten mit Transkribus.
Was wünschen wir uns darüber hinaus?
- Wir hätten gerne mehr mit „regulären“ und jüngeren Studierenden gearbeitet. Die gegenseitige Befruchtung könnte beiden Seiten Impulse geben, da sehen wir Potential bei zukünftigen Projekten.
- Mehr Austausch nach rechts und links: Gibt es andere Projekte, mit denen man sich vernetzen könnte? Zum Beispiel WirtschaftshistorikerInnen? SoziologInnen?
Und was wir am Ende noch ansprechen wollen:
Wir danken der Kölner Universität und dem Kölner Stadtarchiv für das tolle Angebot, die Schätze aus dem Archiv heben zu können. Hinter Institutionen stehen Menschen, die so etwas vorantreiben und ermöglichen. Unser Dank gebührt daher Frau Prof. Dr. Gudrun Gersmann, Frau Christine Schmitt M.A. sowie den Herren Dr. Max Plassmann und Dr. Sebastian Schlinkheider sowie PD Dr. Lazaros Miliopoulos von der KOOST. Ganz besonders danken wir unserem „persönlichen“ wissenschaftlichen Berater, Dr. Wolfgang Rosen, der uns mit viel Engagement befähigt hat, nützliche Ergebnisse abliefern zu können.
Köln, im September 2024, Citizen Science Projektgruppe „KölnErforschen"